Liebe Absolventinnen und Absolventen
Geschätzte Schulleitung, werte Lehrpersonen
Liebe Eltern und Gäste
In den vergangenen Wochen haben Sie, geschätzte Absolventinnen und Absolventen, gearbeitet, gelernt, gebüffelt. Sie haben argumentiert, gerechnet und präsentiert. Sie haben Ihr Wissen und Ihre Kompetenzen in den verschiedenen Prüfungssituationen unter Beweis gestellt. Und jetzt – jetzt haben Sie es geschafft!
Sie haben in Ihrem schulisch-beruflichen Leben einen wichtigen Meilenstein erreicht.
Zu Ihrem erfolgreichen Abschluss gratuliere ich Ihnen sehr herzlich.
Dieser Erfolg ist Ihr Verdienst – eingebettet in ein Umfeld, das Sie fördert und zu anhaltend leistungsfähigen jungen Menschen macht.
Damit spreche ich Ihr persönliches, aber auch Ihr schulisches Umfeld an – Ihre Familien, Ihre Kolleginnen und Kollegen, Ihre Lehrpersonen. Der heutige Abend bietet eine schöne Gelegenheit, mit Ihren Liebsten und Bezugspersonen auf Ihren Erfolg anzustossen.
Ich nutze den Anlass, Ihnen ein paar persönliche Gedanken mit auf den Weg zu geben, weil Sie mit der gymnasialen Matura einiges erreicht haben, dies aber jedoch erst ein Schritt von wahrscheinlich vielen weiteren sein wird.
Mein Name ist Yves Bremer. Als Rektor der Berufsmaturitätsschule Luzern am Berufsbildungszentrum Bau und Gewerbe gibt mir dieser Anlass Gelegenheit, selber einmal zurückzuschauen, denn vor vielen vielen Jahren durfte ich ebenfalls auf dem zweiten Bildungsweg einer Maturafeier beiwohnen, nicht als Redner, sondern wie Sie heute als Absolvent.
Wenn ich Ihnen jetzt von meinem Bildungsweg erzähle, verfolge ich das Ziel, Ihnen, geschätzte Absolventinnen und Absolventen, Mut zu machen, gerade wenn Sie vielleicht noch nicht so genau wissen, was da auf Ihrem weiteren Weg als Nächstes auf Sie zukommen wird.
Wie die meisten von Ihnen habe ich ebenfalls eine Lehre absolviert. Ich kann mich erinnern, mich mit gut 14 Jahren für eine Ausbildung entschieden zu haben, von der ich gar nicht richtig wusste, was da auf mich zukommt. Auch mit Schule konnte ich nichts anfangen. Ich hatte in der Sek nur das Notwendigste getan, um nicht repetieren zu müssen. Entsprechend schwierig war es dann auch, eine Lehrstelle zu finden. Wer wollte schon einen Jugendlichen mit schlechten Zeugnisnoten? Irgendwie hat es dann mit dem Lehrvertrag geklappt. Meine Eltern waren erleichtert. Ich durfte meine Lehre als Mechaniker bei einer Baufirma mitten in Zürich beginnen und besuchte dort auch die Gewerbeschule.
Nach und nach begann mir damals die Schule Freude zu bereiten. Bildung stand in einem Zusammenhang mit meiner Arbeit. Das Lernen ergab einen Sinn. Ich nahm die Möglichkeit wahr, in eine Förderklasse zu wechseln, und war jetzt plötzlich mit Lernenden zusammen, die ihre Ausbildung in Ausbildungsbetrieben absolvierten, die mich vor Lehrbeginn wegen meiner Zeugnisse nicht gewollt hatten. Mit diesen Lernenden konnte ich mithalten. Das Selbstvertrauen wuchs. Die Lehre schloss ich mehr oder weniger gut ab.
Dann kamen die RS sowie einige Reise- und Wanderjahre. Im Lehrbetrieb wollte ich nicht mehr bleiben. Ich durfte dort jedoch freischaffend arbeiten, was auch eine gute Erfahrung war. Nach der RS und einigen Monaten Arbeit als Mechaniker ging es für drei Monate nach England. Ich wollte jetzt Sprachen lernen. Danach plante ich eine Reise durch die USA, sparte das Geld zusammen, indem ich als Bühnentechniker arbeitete. Der Tag der Abreise kam. Ich flog nach L. A., kaufte einen riesigen Amerikanerschlitten (Benzin war billig damals) und reiste für 14 Wochen quer durch Amerika. Auch heute fallen mir plötzlich Worte wie «Hood» für Motorhaube ein, weil es diese beispielsweise unterwegs zu reparieren galt.
Mit vielen neuen Erfahrungen und ohne Geld kam ich zurück. Wie sollte es weitergehen? Eine Stelle, dieses Mal als Disponent einer Firma für Baumaschinenunterhalt, fand ich glücklicherweise schnell. Doch war es das? Per Zufall wies mich eine Nachbarin auf die Kantonale Maturitätsschule für Erwachsene in Zürich hin, heute immer noch die KME.
Ich wusste, dass ich bei der Aufnahmeprüfung an Französisch scheitern, wegen meines technischen Hintergrunds in der Mathematik aber bestehen würde. So war es dann auch. Ich konzentrierte mich auf Französisch, bestand ein Jahr später dann auch diese Hürde und vier Jahre nach der Lehre begann ich mit der KME. Ich kann mich noch erinnern, wie ich etwas eingeschüchtert die Eingangstüre durchschritt.
Die Matura holte ich damals Vollzeit während dreier Jahre nach und arbeitete nur in den Schulferien. Weil es an der KME viele Gleichgesinnte gab, blühte ich auf. Dann kam die Einladung zur Maturafeier, und ich stand kurze Zeit später, wie Sie jetzt, in einer Aula und durfte das Maturazeugnis entgegennehmen. Das war vor gut 30 Jahren.
All dies kommt Ihnen wahrscheinlich in Bezug auf das eine oder andere Erlebnis bekannt vor. Einigen von Ihnen ist wahrscheinlich auch völlig klar, wie es mit der Matura in der Tasche weitergehen soll. Bei mir war das damals nicht der Fall.
Ich wollte erst einmal nichts mehr von Schule oder gar Uni wissen, weil ich immer noch nicht wusste, was wirklich der richtige Weg für mich ist. Ich arbeitete noch als Mechaniker, landete auf der Suche nach einer sinnvollen Tätigkeit sogar für eine Weile in der Pflege, startete in diesem Bereich eine Ausbildung, merkte aber, dass mir das Funktionieren innerhalb einer Hierarchie und unter starkem Zeitdruck nicht lag. Dann dachte ich auch über eine Tätigkeit im Bereich Journalismus nach. Ich kann mich erinnern, dass die NZZ – ich war damals bescheiden – mir auf meine Bewerbung zwar höflich antwortete, jedoch nur, dass man mir gerne die Redaktionsräume zeigen würde, ich mich aber erst wieder nach einem Studium um eine Stelle bemühen solle. Für mich fiel damals eine Welt zusammen, war ich doch stolz, als schlechter Schüler eine Matura geschafft und damit aus meiner Sicht viel erreicht zu haben. Ich glaubte, alle Türen würden mir offen stehen.
Weil also weder Journalismus noch Pflege etwas waren, begann ich mich wegen meines technischen Hintergrunds für Physik zu interessieren, begann auch das Studium, realisierte aber zu spät, dass dies auch ein Mathematikstudium bedeutet. Ich kann mich erinnern, wie ich in den Vorlesungen sass, darauf vertraute, dass ich es, wenn ich mich nur genügend anstrengen würde, irgendwann dann schon verstehen würde. Nach einigen Monaten anhaltenden Nichtverstehens und Gesprächen mit Studierenden in den höheren Semestern waren dann die Zweifel zu gross geworden, zumal mir auch langsam das Geld ausging und ich Geld verdienen musste. Ich brach ab. Nach der Pflege, den geplatzten Träumen im Journalismus war das für mich wieder ein Scheitern.
Eine solche Situation wünsche ich Ihnen natürlich nicht. Doch kann ich Sie beruhigen. Falls Sie in den kommenden Jahren merken, dass Ihre Pläne nicht wie gewünscht verlaufen, schauen Sie bitte auch diese Phasen als gewinnbringend an. Erfahrungsgemäss führt man in solchen Situationen viele Gespräche mit nahestehenden Personen, aber auch mit Profis wie Berufsberaterinnen und Berufsberatern. So war das auch bei mir.
Nach einer Phase der Orientierungslosigkeit entschloss ich mich für ein Studium in Geschichte und Germanistik. Wegen meines Studiums und meines technischen Hintergrunds fand ich dann auch eine Stelle in der Unternehmenskommunikation bei Siemens, die sich zeitlich ideal mit dem Studium kombinieren liess.
Das Studium lief gut. Weil ich nicht nochmals scheitern wollte, ging ich beispielsweise den literarischen Akzess relativ diszipliniert an. Wir lernten in einer Gruppe und besprachen die Literatur. Es war eine gute Zeit. Freuen Sie sich auch auf Erlebnisse wie diese.
Gerne erinnere ich mich auch noch an zwei Semester an der Uni in Hamburg. Ich hatte natürlich auch davor Respekt. Es lief aber ebenfalls gut, auch wenn einiges anders war als an der Uni Zürich. Beispielsweise war es völlig normal, Seminare einfach mitten in der Veranstaltung zu verlassen, selbst wenn irgendein Kommilitone oder eine Kommilitonin vorne referierte. Geblieben sind auch noch Freundschaften aus der Zeit, weshalb ich immer noch gerne regelmässig nach Hamburg gehe. Auslandaufenthalte kann ich Ihnen also wärmstens empfehlen.
Dass ich Lehrperson geworden und schliesslich in der Schulleitung gelandet bin, war nicht geplant. Nach dem Studium wusste ich immer noch nicht so genau, wie es weitergehen sollte.
Zu Hilfe kam mir der Zufall. Ein Studienkollege begann zu unterrichten, hatte zu viele Klassen und gab mir eine ab. Ich erinnere mich, zu Beginn völlig überfordert gewesen zu sein. Aber jungen Menschen etwas beibringen zu dürfen, bereitete mir Freude.
Erstaunlicherweise gefiel es mir auch, gerade weil es eine sehr lebendige Klasse und ich dadurch zusätzlich gefordert war.
Nun hatte ich einen Plan, ging noch einmal für drei Jahre an die Uni Zürich, um das Höhere Lehramt in Geschichte und Deutsch zu absolvieren. Das war vor 20 Jahren. Es folgten wieder Wanderjahre an verschiedenen Schulen in unterschiedlichen Kantonen, was in meiner jetzigen Funktion auch zu einem guten Netzwerk geführt hat. 2010 zog ich von Einsiedeln zu einem vollen Unterrichtspensums in die schöne Stadt Luzern.
2016 gelangte ich dann in die Schulleitung als Prorektor. Seit 2021 bin ich Rektor einer Co-Leitung und unter anderem zusätzlich zur Leitung der Berufsmaturität zuständig für die Gesamtkommunikation, den bilingualen Unterricht und die Mobilität sowie das Partnermanagement, was wiederum mit meinem Werdegang, zum Beispiel bei Siemens, zu tun hat. Dass ich in einer technisch-gewerblichen Berufsfachschule hängen geblieben bin, liegt wahrscheinlich ebenfalls an meiner Vergangenheit als Mechaniker.
Wie lautet nun die Botschaft?
Bleiben Sie dran, auch wenn vielleicht nicht immer alles so rosig läuft. Am Ende macht nach meiner Erfahrung doch wieder alles Sinn.
Und: Freuen Sie sich über Ihre Erfolge, wie zum Beispiel den heutigen Abend mit der Entgegennahme der Ausweise für die Ergänzungsprüfungen.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie ebenfalls weiter Ihren Weg finden und das tun können, was Ihnen und Ihren Interessen und Fähigkeiten entspricht. Dieser Weg kann gradlinig sein oder, wie bei mir, eben auch nicht.
Vergessen Sie dabei bitte nicht: Es geht um Ihr Leben und nicht um das Leben, das von Ihnen erwartet wird. Mit der gymnasialen Matura in der Tasche haben Sie einen wichtigen Schritt geleistet. Bleiben Sie neugierig, flexibel, zuversichtlich und riskieren Sie weiter mutige Schritte. Bleiben Sie dran und verlieren Sie dabei nie Ihr Vertrauen ins Leben.
Ich danke Ihnen für das Zuhören und wünsche Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute sowie viel Freude am Leben!
Yves Bremer, Rektor Berufsmaturität am Berufsbildungszentrum Bau und Gewerbe Luzern