Verehrte Maturae, liebe Maturi, lieber Schulleiter, sehr geehrte Lehrpersonen, verehrte Anwesende!
Danke für die Einladung und für die Ehre, hier eine Rede zu halten. Ich stelle mich ganz kurz vor: Ich komme aus der Ukraine und bin Gast-Professorin für Englisch an der Pädagogischen Hochschule Luzern. Derzeit arbeite ich im Leistungsbereich Forschung und Entwicklung an meinem vom Schweizerischen Nationalfonds für «Scholars at Risk» unterstützten Projekt zu Identitätskonstruktionen im englischsprachigen Diskurs. Zudem habe ich die Gelegenheit, drei Kurse im Leistungsbereich Ausbildung führen zu dürfen.
Als ich als Fremde zum ersten Mal in die Schweiz gekommen bin, habe ich gelernt, dass die elektrische Zahnbürste, Zellophan und Alufolie von den Schweizern erfunden wurden, und seitdem bewundere ich die Menschen aus der Schweiz. Ich habe viel Respekt vor Ihrem Engagement, Ihren Talenten und Fähigkeiten. Und der Weg der Matura beweist das noch einmal.
Ich fange meine heutige Rede mit einem Zitat aus dem berühmten Buch «Alice im Spiegelland» (im Original «Through the looking glass») des hervorragenden englischen Schriftstellers Lewis Carol an: «Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!» (The red queen.) Ich übersetze: «Hier muss man so schnell laufen, wie man kann, um am selben Ort zu bleiben. Wenn du woanders hinkommen willst, musst du mindestens doppelt so schnell laufen!»
Als Sie sich auf den Matura-Weg gemacht hatten, nahmen Sie eine harte Strasse und rannten, laut Lewis Carol, doppelt so schnell. Wichtig ist aber auch, dass Sie in dieser Zeit doppelt so viel erreicht haben.
Meine erste Begegnung mit der Schweizer Matura fand vor fast eineinhalb Jahren statt, als ich mit meiner Familie in die Schweiz kam und gerade an der Pädagogischen Hochschule Luzern zu arbeiten begonnen hatte.
Ihr Schulleiter, Luigi Brovelli, zeigte uns damals freundlicherweise an der Universität Luzern die Ausstellung «Fokus Maturaarbeit» – die besten Maturaarbeiten, die in der Zentralschweiz geschrieben worden sind. Und ich dachte sofort: «Wow, was für ernsthafte und beeindruckende Arbeiten, was für eine grosse Motivation diese Leute haben und wie gut sie in dem sind, was sie tun.» Ich weiss, dass in diesem Jahr auch eine von Ihnen ihre Arbeit an der Ausstellung «Fokus Maturaarbeit» an der Universität vorgestellt hat.
Die Ausstellung der Maturaarbeiten im letzten Jahr hat mich motiviert, mehr über diesen Bildungsweg in der Schweiz zu erfahren.
Das genannte Ziel, lese ich auf der Webseite, ist ganz einfach, aber unglaublich ambitioniert:
Schweizerisch anerkannte Matura mit Zugang zu allen universitären Hochschulen.
Man braucht keine Sprachwissenschaftlerin zu sein, um «zu allen» zu verstehen! Das klingt schön und bietet Perspektiven.
Und während dieser Zeit, rund dreieinhalb Jahren, haben Sie gemeinsam studiert, mitgefühlt, sich gefreut, Schwierigkeiten überwunden, neue Kompetenzen erworben, neue Ideen entwickelt, Pläne gemacht und umgesetzt. Sie haben studiert und geschwitzt, Arbeit und Studium, Familie und soziales Leben unter einen Hut gebracht. Ich weiss, dass es überhaupt nicht einfach war, aber Sie haben es sehr erfolgreich gemacht und heute feiern wir Ihren Erfolg.
Was ist denn Matura?
Matura ist eine schöne Gelegenheit, Menschen aus unterschiedlichen Lebensbereichen und Altersgruppen zusammen zu bringen und sie ein Team in rund dreieinhalb Jahren aufbauen zu lassen.
Matura ist eine Herausforderung. Sie bietet die Möglichkeit, sich selbst zu beweisen, dass man viel mehr machen kann, sich weiterzuentwickeln, neue Ziele zu erreichen, eigenes Können und Wissen zu vertiefen und einen neuen Weg für sich selbst im Leben zu finden.
Matura ist eine Entdeckungsreise. Sie hat es Ihnen ermöglicht, sich selbst besser kennenzulernen und sicherzustellen, dass Sie viel mehr tun und Ihre Ziele erreichen können. Sie haben gelernt, Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.
Matura ist eine grosse Inspiration. Ich bewundere Ihre Entscheidung und Ihre riesige Neugier, aber auch die Kenntnisse und Fähigkeiten, die Sie erworben haben. Sie haben so viele Fächer studiert, die Prüfungen bestanden und einen neuen Weg im Leben für sich entdeckt.
Matura ist ein neuer Weg. Ich habe den Glauben, dass die Matura für Sie neue interessante Lebenswege eröffnet und Ihr Leben in ein Vorher und Nachher geteilt hat. Aber nur im positiven Sinne: Jetzt haben Sie andere Perspektiven, Horizonte und Gelegenheiten vor sich.
Ich möchte mich auch bedanken; bei den Lehrpersonen für das vermittelte Wissen, bei den Eltern und Familien für die grosse Unterstützung der Maturae und Maturi, und auch bei Ihnen selbst für den grossen Einsatz und die Motivation.
Ich habe grossen Respekt vor Ihrem Engagement und wünsche Ihnen, dass Sie alle Türen in der Zukunft mit dem Matura-Schlüssel öffnen können.
Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen:
- Seien Sie stolz auf sich – Sie haben viel erreicht! Unabhängig davon, wie Ihr Leben sich verändern wird, haben Sie mit diesem Abschluss schon einen grossen Erfolg erreicht.
- Realisieren Sie Ihre Chancen, welche die Matura Ihnen gibt – Sie haben es verdient.
- Glauben Sie an sich selbst: Sie wollen und können grosse Ziele erreichen.
- Feiern Sie mit den Lehrpersonen, Familien und Freunden, die sie auf diesem Weg unterstützt haben.
Ich möchte meine Rede mit einem Gedicht von Rose Ausländer abschliessen. Die Matura ist schon vorbei, aber, noch ein Wunsch: Seien Sie nie fertig und träumen Sie weiter!
Die Herzschläge nicht zählen
Delfine tanzen lassen
Länder aufstöbern
aus Worten Welten rufen
horchen was Bach
zu sagen hat
Tolstoi bewundern
sich freuen
trauern
höher leben
tiefer leben
noch und noch
Nicht fertig werden
Herzliche Gratulation, liebe Maturae, liebe Maturi, zu Ihrem Erfolg und einen schönen Abend!